Bonn. Am 1. Juni 2025 ging bei den Maltesern im nordrhein-westfälischen Bezirk Rheinland Süd erstmalig ein PSNV-E Team (Psychosoziale Notfallversorgung für Einsatzkräfte) an den Start, das sich vor allem zur Unterstützung des Rettungsdienstes formiert hat. Im Rahmen des sogenannten Peer-Prinzips (P2P) stehen von nun an speziell geschulte Kolleginnen und Kollegen aus dem Rettungsdienst bereit, um ihre Teammitglieder bei einsatzbedingten Belastungsreaktionen unterstützen zu können. Durch niedrigschwellige Interventionsansätze können die Peers nicht nur in der strukturierten Nachsorge eingesetzt werden, sondern auch präventiv Wissen vermitteln und dabei helfen, belastungsbedingte Reaktionen frühzeitig zu erkennen und abzumildern.
Von der Idee zur Umsetzung - Die ersten Schritte
Doch von vorne: Den Anstoß zu allem hatte Malteser Mitarbeiterin Vera Vitus gegeben. Die Notfallsanitäterin mit Bachelor of Science in Psychologie und einer Weiterbildung in Notfallpsychologie engagiert sich privat bereits seit rund neun Jahren in der Einsatznachsorge. „Für mich ist es ein Herzensthema, da ich als Einsatzkraft auch selbst schon belastende Einsätze erlebt habe und weiß, wie hilfreich Gespräche mit geschulten Peers sein können“, sagt Vitus.
Im Rahmen ihrer langjährigen Tätigkeit im Rettungsdienst sei ihr deshalb schon früh eine Sache besonders aufgefallen: Deutschlandweit gäbe es bei den meisten Hilfsorganisationen nur wenige geschulte Einsatzkräfte aus dem Bereich des Rettungsdienstes und noch weniger, die auch aus der eigenen Belegschaft kämen.
Gleiche Sprache – gemeinsamer Hintergrund
Die Schwierigkeit dabei, so Vitus, sei, dass eine gewisse Distanz bestehen bleiben könne, wenn Rettungsdienstmitarbeitende nach belastenden Einsätzen Gesprächsbedarf äußern würden und die Fachkräfte dem Team entweder nicht bekannt seien oder aus einem fachfremden Berufsfeld kämen. Das in den Arbeitsalltag integrierte Peer-to-Peer Prinzip biete hier den Vorteil, dass es durch seinen bewusst praxisnahen Aufbau und die gemeinsame Erfahrungsbasis zwischen Peer und Einsatzkraft diese Hürden umgehe.
„Einsatzkräfte sammeln im Laufe der Zeit viele Erfahrungen, die für Außenstehende schwer greifbar sein können“, reflektiert Vitus. „Diese Erfahrungen setzen sich zusammen aus Bildern, Momenten und vielleicht auch intensiven Emotionen, die andere Menschen selten erleben. Wenn mein Gegenüber dies nachempfinden kann, fällt es mir leichter, mich nach einem belastenden Einsatz zu öffnen und Hilfe anzunehmen. Es geht in der Nachsorge nicht nur ums Reden, es geht ums Verstanden werden“, weiß Vera Vitus.
Nachsorge fest im Arbeitsalltag verankern
Ein guter Freund und Kollege habe ihr einmal gesagt: „Du kannst nicht immer nur kritisieren, was schlecht läuft. Wenn du die Möglichkeit hast, etwas zu ändern, dann nutze sie“, erinnert sie sich schmunzelnd an den Rat, der ihr im Gedächtnis geblieben ist.
Der Plan war somit gefasst: Um die Nachsorge fest zu etablieren und die Kolleginnen und Kollegen in Zukunft passgenau versorgt zu wissen, nahm sie die Sache selbst in die Hand.
Im ersten Schritt hieß es dann Überzeugungsarbeit zu leisten. Bei ihrer Wachleitung lief sie scheinbar offene Türen ein, denn diese habe die Problematik gesehen und das Vorhaben befürwortet. „Ich habe dann auf allen Ebenen, wie der Region und der Bundesebene, für ganz viel Stress gesorgt“, scherzt die sympathische Malteser Mitarbeiterin weiter, die nur wollte, dass etwas passiert.
Mit Unterstützung ins Rollen gebracht
So sollte es auch kommen: Mit jeder Menge Unterstützung von Rheinland Süd-Bezirksgeschäftsführer Michael Krämer und in enger Abstimmung mit der Bundesebene durch Sebastian Schindler kam die Sache schließlich ins Rollen.
Für Michael Krämer sei es gerade als Malteser ein besonderes Anliegen gewesen, den Gesundheitsschutz für seine Mitarbeitenden zu optimieren, so Vitus. Die Aus- und Weiterbildung entsprechender Mitarbeitender im Bereich PSNV habe daher dabei eine entscheidende Rolle gespielt. „Mein Wunsch wäre, dass die Psychosoziale Notfallversorgung für Einsatzkräfte ein alltäglicher, nicht mehr wegzudenkender Baustein in unserem Rettungsdienst wird“, erklärt Michael Krämer vom Projekt überzeugt.
Zwischen Empathie und Erfahrung: Wer eignet sich als Peer?
Der nächste Schritt: Auswahl der Peers. Hierbei gingen Vera Vitus und Kollege Dennis Vanheiden, mit dem sie das Team zukünftig koordinieren wird, ausgesprochen sorgfältig vor. Die gängigen Auswahlverfahren gemäß dem Motto „Aushänge, Mundpropaganda, melde dich“, die regulär eingesetzt werden, erschienen den beiden nicht gänzlich geeignet, um die Funktionen adäquat zu besetzten.
„Wir haben gesagt, wir machen es komplett anders, weil es ein unfassbar sensibles Thema ist und man wirklich gute Leute braucht“, erklärt die Notfallsanitäterin. So nahmen Vanheiden und sie sich in enger Absprache mit den jeweiligen Wachleitungen, welche die Vorgehensweise mitgetragen und unterstützt haben, die Zeit und klapperten innerhalb eines halben Jahres sämtliche Wachen im Bezirk ab. Vor Ort befragten sie dann Kolleginnen und Kollegen danach, wem diese innerhalb der Mitarbeiterschaft besonders vertrauten, und wen sie sich als geeignete Ansprechpartner oder Ansprechpartnerinnen für die Einsatznachsorge vorstellen könnten.
Aus der Mitte des Teams- Von der Empfehlung zum Gespräch
Die Personen, die am häufigsten genannt wurden, sprachen Vitus und ihr Kollege schließlich direkt an. „Wir haben uns auf die Einschätzung derer verlassen, die es am besten wissen: die Kolleginnen und Kollegen auf den Wachen vor Ort. Denn im Einsatz und im täglichen Miteinander zeigt sich, wem man wirklich etwas anvertrauen würde.“ Jene leisen Qualitäten wie Empathie, Verlässlichkeit und echtes Interesse ließen sich in einem Auswahlgespräch nämlich meist nur eingeschränkt beurteilen, aber genau darauf komme es schließlich an. „Mit unseren Teammitgliedern haben wir definitiv eine Punktlandung gemacht“, fügt Vitus begeistert hinzu.
Wenngleich auch nicht jeder der Angesprochenen aus zeitlichen oder privaten Gründen für das Projekt zur Verfügung stehen konnte, so habe sich doch jeder Einzelne sehr geschmeichelt gefühlt, von den Kolleginnen und Kollegen der eigenen Wache für die verantwortungsvolle Aufgabe vorgeschlagen worden zu sein.
Bezirk Rheinland Süd ist bereit
Mit der abgeschlossenen PSNV-E Grundausbildung ist das stolze 17-köpfige Team nun seit Anfang Juni einsatzbereit. Auf einem entstandenen kreativen Gruppenbild bringt die neue Mannschaft bereits jetzt zum Ausdruck, wie sie sich ihr Sicherheitsnetz für die Kolleginnen und Kollegen vorstellt. Gleichsam solle das Foto verdeutlichen, dass das neue Team künftig in der Nachsorge ebenso handlungskompetent und zuverlässig agieren werde, wie bereits in seiner täglichen Arbeit im Rettungsdienst.
„Mit diesem wichtigen Schritt wird der Stellenwert der Psychosozialen Notfallversorgung für Einsatzkräfte im Rettungsdienst gezielt gestärkt und ein Rahmen geschaffen, der den besonderen Anforderungen des Berufs gerecht wird“, freut sich Vera Vitus
Für eine nachhaltige und fachkundige Unterstützung auf Augenhöhe ist im Bezirk Rheinland Süd damit de facto gesorgt. Und wer weiß, vielleicht setzt dieses positive Beispiel bald auch in anderen Teilen des Landes neue Impulse und regt zur Nachahmung an.