TAZ-Journalistin Apin spricht mit Maltesern über Missbrauch

Das Buch ist im März 2020 erschienen. 184 Seiten, Ch. Links Verlag, ISBN: 978-3-96289-080-3
Die Autorin Nina Apin ist Redakteurin bei der TAZ. (Foto: Hannelore Schild-Vogel)

Köln. Am 31. Mai hat Nina Apin, Redakteurin der TAZ und Sachbuchautorin,  den Fachkräften der Malteser aus ihrem Buch „Der ganz normale Missbrauch“ vorgelesen. Das Buch trägt den Untertitel „Wie sich sexuelle Gewalt gegen Kinder bekämpfen lässt“.  Rund 60 Malteser, die als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren im Bereich Prävention sexualisierter Gewalt bei den Maltesern tätig sind, hatten sich per Videokonferenz zugeschaltet. Nicht nur Malteser aus Nordrhein-Westfalen, sondern auch aus den anderen Regionen Deutschlands waren als Zuschauer dabei.
 
Die engagierte Journalistin Apin hat 2010 die erste Pressekonferenz zum Thema sexueller Missbrauch am Berliner Canisius-Institut miterlebt. Seitdem hat sie nicht mehr lockergelassen, die Missstände aufzuklären. Besondere Aktualität hatte die Veranstaltung aufgrund der tags zuvor von der Kölner Polizei bekanntgegebenen Ermittlungen in einem neuen, großen Missbrauchsfall von Babys und Kindern in Wermelskirchen bekommen.
 
Dr. Sophie von Preysing, Regional- und Landesgeschäftsführerin der Malteser in NRW begrüßte die Autorin, Ansgar Kesting als Bundespräventionsbeauftragten  und die Zuschauer.  Sie sagte: „Wir Malteser haben eine klare Haltung in Bezug auf Kindesmissbrauch und Übergriffe. Diese gilt es immer wieder zu festigen, zu hinterfragen und weiterzuentwickeln.“ Heute werde ein wichtiges und wegweisendes Buch besprochen. „Ich freue mich, dass sich so viele Malteser bundesweit dazugeschaltet haben.“
 
Rund 60 Minuten las Nina Apin aus ihren Buch vor. Dabei ging es vor allem um

  • Erkenntnisse aus den Missbrauchs-Vertuschungsskandalen seit 2010,
  • Überblick über aktuelle Zahlen, Ausmaß und Verbreitung von Kindesmissbrauch in Deutschland,
  • Erläuterungen zum Kindesschutz,
  • rechtliche Entwicklungen, aktuelle Gesetzeslage
  • Aufarbeitung in Kirche, Institutionen, bei den Grünen, in der Verwaltung und Gesellschaft
  • sowie Haltungsentwicklung. 

Nina Apin unterfütterte ihre Darstellung mit beeindruckenden Beispielen. Fragen der Zuschauer gab es zu Schutzkonzepten, Frauen als Täterinnen, wichtigsten Erkenntnissen aus ihren Recherchen.

Ein bis zwei Fälle pro Schulklasse
 
Nina Apin betonte: „Kindesmissbrauch hat das Ausmaß einer Volkskrankheit etwa wie Krebs oder Diabetes.“ Die WHO gehe von einer Million Fälle in Deutschland aus. Das bedeute ein bis zwei Fälle pro Schulklasse. Aber jedes betroffene Kind müsse sich im Schnitt an sieben Erwachsene wenden, bevor ihm jemand glaube. 
 
Dennoch: Jedes Jahr kämen mehr Fälle ans Tageslicht, rund 15.500 im vergangenen Jahr, sagte die Autorin. Das liege an erhöhter Sensibilität der Menschen, an größerer Bereitschaft anzuzeigen und an höherem Ermittlungsdruck durch die Polizei aufgrund des öffentlichen Drucks. Investitionen in Ausstattung und Personal der Polizei brächten Ermittlungserfolge. Dafür sei NRW ein vorbildliches Beispiel: So sei zu erklären, dass die größten entdeckten Netzwerke für Kindesmissbrauch in den vergangenen Jahren allesamt in NRW aufgedeckt wurden: Lügde, Münster, Bergisch Gladbach und jetzt Wermelskirchen zu erklären. Die TAZ-Redakteurin lobte die Entschlossenheit von NRW-Innenminister Herbert Reul, hart und mit hohem Personalaufwand gegen Täter vorzugehen.

Es gibt kein Milieu, wo es nicht passiert

Die Autorin sagte, Missbrauch sei immer ein Beziehungsverbrechen. Ihre wichtigste Erkenntnis sei: „Missbrauch kann überall passieren, es gibt kein Milieu, keine Schicht oder keinen Kontext, wo es nicht passiert.“ Typisch sei ein Machtgefälle. In acht von zehn Fällen seien Männer die Täter. Oft seien nicht eine pädophile Neigung, sondern Frust, Sadismus, Ausleben von Macht, Gehemmtheit oder Schwierigkeiten im Umgang mit Geschlechtspartnerinnen maßgeblich. Apin: „Es gibt fast so viele Motive für die Taten wie Täterinnen und Täter.“
 
Zusammenfassend sagte Nina Apin zu ihren Recherchen: „Meine Hoffnung auf ein radikales Ende des Phänomens Kindesmissbrauch schwindet. Es braucht mehr Aufmerksamkeit und Geld auf allen Ebenen, um wirksam zu sein. Nicht nur bei der Polizei. Mehr Fortbildungen für Ärzte, Richter, Lehrer, mehr Traumatherapeuten und Fachberatungsstellen sind notwendig.“
 
Die Autorin bedankte sich, dass so viele Malteser und Gäste zugeschaut haben. Ihr Buch ist im März 2020 erschienen (184 Seiten, Ch. Links Verlag, ISBN: 978-3-96289-080-3).
 
Den Vortrag hatte Petra Müller organisiert, die Präventionsbeauftragte der Malteser in der Region NRW. Sie dankte der Journalistin für ihren eindrucksvollen Bericht und sagte: „Es kann nie genug sein, immer wieder davon zu hören, welche Dimension der Missbrauch in Deutschland hat und sich bewusst zu machen, dass Missbrauch auch immer noch stattfindet.  Das von einer Expertin zu hören, die recherchiert hat, war sehr wertvoll.“ 

Nach 90 Minuten endete die Videokonferenz.

Mehr über Prävention bei den Maltesern: www.malteser.de/praevention.html